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4. August 2023

KiWi-Forum Umwelt 2023: Forderungen nach weniger Bürokratie und mehr Tempo

Beim Kiwi-Forum Umwelt von KiWi – Kieswirtschaft im Dialog am Oberrhein haben Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer und der Klimaexperte Sven Plöger die ausufernde Bürokratie und viel zu lange Genehmigungsprozesse kritisiert. Palmer fordert ein neues Landesgesetz, damit Projekte wie etwa der Bau von schwimmenden PV-Anlagen schneller verwirklicht werden können.

Seine Forderung nach weniger Bürokratie und mehr Tempo untermauerte der Tübinger Oberbürgermeister mithilfe einer Genehmigungs-Odyssee: Acht lange Jahre hat es gedauert, bis in einem sogenannten Straßenohr an einer Bundesstraße bei Tübingen eine PV-Anlage gebaut werden durfte. Seine Idee war eigentlich so einfach wie nachvollziehbar: Solche Straßenohren, wie sie bei Aus- und Auffahrten zu Bundesstraßen oder Autobahnen entstehen, sind Brachflächen, die man eigentlich sinnvoll nutzen könnte. Zum Beispiel für PV-Anlagen, die dort niemanden stören, keine wertvollen landwirtschaftlichen Flächen belegen, schnell und unkompliziert errichtet werden können.

In den folgenden Jahren musste Palmer aber erkennen, wie sehr er sich getäuscht hatte: Solche Straßenohren sind manchmal Ausgleichsflächen für andere Bauprojekte, die nicht so einfach bebaut werden können. Dann sind erst einmal Gutachten aller Art erforderlich, egal ob es um Arten- oder Pflanzenschutz geht, um Sicherheitsgefahren für Autofahrer:innen oder um sonst irgendwelche von der Bürokratie erdachten und entsprechend geregelten Sach- und Tatbestände.

2013 hatte der Oberbürgermeister die Idee, acht Jahre später, also 2021, waren endlich alle Gutachten und Genehmigungen beisammen. Acht Wochen später war die PV-Anlage in Betrieb. „Wir brauchen eine Lösung für dieses Schneckentempo”, rief Boris Palmer seinen Zuhörerinnen und Zuhörern im voll besetzten Saal des Hotel Colosseo in Rust zu. Er fordert von der Landesregierung ein einziges neues Landesgesetz, mit dem diese mehr als 500 „Straßenrestflächen”, wie solche Straßenohren offiziell heißen, unkompliziert bebaut und damit sinnvoll genutzt werden könnten. Dann müsste man nicht bei jedem dieser Ohren wieder bei null anfangen. Das gleiche gelte auch bei schwimmenden PV-Anlagen auf den mehr als 100 betriebenen Baggerseen im Land, die dafür genutzt werden könnten.

Palmer war einer der Redner beim jährlichen KiWi-Forum Umwelt, mit dem die Kieswirtschaft am Oberrhein das Gespräch mit der Politik, Kommunen, Behörden, Unternehmen, Verbänden und interessierten Bürger:innen sucht. Das Thema in diesem Jahr lautete „Kiesgewinnung: Chancen für Biodiversität und Klimaschutz“. Moderiert wurde die Veranstaltung von Caroline Bosbach.

Thorsten Volkmer von der Kies und Beton AG in Iffezheim griff das Thema schwimmende PV-Anlagen in seinem Vortrag „Baustoffindustrie als Partner der Energiewende: Auf dem Weg zum Bürgerstrom vom Baggersee” auf. Auch hier hat die lange Verfahrens- und Genehmigungsdauer und die starke Reglementierung in Deutschland bis jetzt eine größere Zahl von solchen Anlagen verhindert. Während in Deutschland nur maximal 15 Prozent der Wasserfläche eines Baggersees von einer solchen PV-Anlage bedeckt sein dürfen, sind es in Österreich mehr als 40, in Frankreich sogar mehr als 50 Prozent - beim für alle gleich geltenden EU-Rahmenregelwerk.

Volkmer zählte noch eine ganze Reihe von weiteren Hemmnissen auf: Für eine schwimmende PV-Anlage, die nicht vorrangig vom Kieswerk selbst genutzt werde, benötigen die Betreiber eine wasserrechtliche Erlaubnis. Die gebe es nur für 15 Jahre, für eine wirtschaftliche Nutzung der PV-Anlage seien aber 30 Jahre notwendig. In manchen Fällen müsste die Fläche aus dem sonst geltenden Bergrecht herausgenommen werden, was Zeit und Geld koste. Ein Flächennutzungsplan sei erforderlich, dann ein Bebauungsplan, natürlich Umweltberichte und Gutachten aller Art. Volkmer: „Der Oberrhein ist eines der wichtigsten und größten Kiesgewinnungsgebiete in Deutschland. Es gibt hier eine hohe Sonneneinstrahlung. Die Größe und Tiefe der Seen ist prädestiniert für schwimmende PV-Anlagen.” Genehmigt und gebaut worden seien aber bisher nur wenige: So gibt es in Baden-Württemberg derzeit nur zwei schwimmende PV-Anlagen.

Auch der zweite Hauptredner der Veranstaltung, der bekannte Wetter- und Klimaexperte Sven Plöger, forderte eine Veränderung der Regelwerke, damit viel schneller Entscheidungen getroffen werden könnten. Plöger wies vor den mehr als 200 Zuhörerinnen und Zuhörern darauf hin, dass die Menschheit das 1,5-Grad-Ziel bei der Klimaerwärmung verfehlen werde. Bereits im Jahr 2021 sei eine Erwärmung von 1,2 Grad erreicht worden. Wenn sich nichts ändere, laufe alles auf eine Erwärmung von 2,7 Grad hinaus. Würden die aktuellen Zusagen und Zielsetzungen tatsächlich eingehalten, wären 2,1 Grad realistisch erreichbar. „Aber wenn wir genau das Gegenteil von dem tun, was wir wollen, wird es schwierig.“ „

„Wir müssen Lust auf Veränderung bekommen”, sagte der Diplom-Meteorologe. Menschen, die sich klimapositiv verhalten, müssten belohnt werden. Plöger hofft, dass die Gesellschaft schnell eine gemeinsame Haltung im Kampf gegen den Klimawandel entwickelt. Ein Weg dorthin ist für ihn ein ökologisches und soziales Pflichtjahr für Jugendliche und junge Menschen. Ziel müsse sein, wieder mehr miteinander statt übereinander zu reden. Plöger: „Dieser Planet braucht uns nicht, dem ist unsere Existenz aber sowas von egal. Aber wir brauchen ihn.” In seinem neuen Buch „Zieht euch warm an, es wird noch heißer!” hat Plöger auch konkrete Maßnahmen im „Wettlauf zum Klimaziel” aufgeführt, von der Ernährung über das richtige Heizen bis zum Stromfresser Internet. Das Buch steht seit Wochen in den Top Ten der Spiegel-Bestseller-Liste.

Zu Beginn der Veranstaltung hatte der Vorsitzende der Initiative KiWi – Kieswirtschaft im Dialog am Oberrhein, Thomas Peter, darauf hingewiesen, dass die oft kritisch beäugte Kiesindustrie alles tue, um die Dekarbonisierung voranzutreiben. Jochen Roeder von der Heinrich Krieger KG in Neckarsteinach zeigte in seiner Präsentation „Kiesgewinnung und Artenschutz: Biodiversität an Baggerseen” auf, wie im Zuge der Rohstoffgewinnung neue Lebensräume für seltene Pflanzen und Tiere entstehen. Er betonte die Bedeutung von Baggerseen für die biologische Vielfalt in der Oberrheinebene. Durch die Gewinnung von Kies und Sand entstehe eine ungewöhnliche Strukturvielfalt, die in der heutigen Landschaft nur noch selten zu finden sei. Zudem weisen die Gewässer eine Nährstoffarmut auf, wodurch pflanzliche und tierische Pionierarten während der Gewinnungsphase eine Ansiedlungsmöglichkeit finden, die sonst nur schwer zu erreichen wäre. Roeder führte detailliert zahlreiche Lebewesen auf, die in und um Baggerseen anzutreffen sind, darunter die Gemeine Dornschrecke . Diese finden hier Lebensräume, die ihre Existenz sichern und maßgeblich zur biologischen Vielfalt beitragen. Daher spielt die Kieswirtschaft am Oberrhein auch in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle, da viele Arten in den Baggerseen gerade wegen der Rohstoffgewinnung existieren und nicht trotz dieser Tätigkeit.

Der Präsident von NatureLife-International, Claus-Peter Hutter, plädierte für neue Strategien, wie Ökologie und Ökonomie zusammengebracht werden könnten. Auch er forderte kürzere Planungs- und Entscheidungsprozesse und kritisierte: „Wir werfen Finanzmittel hinaus für fragwürdige Eidechsenumsiedlungen.” Diese Gelder könne man sinnvoller in neue Lebensräume und Natur investieren. NatureLife ist eine Naturschutzstiftung mit Sitz in Ludwigsburg. Sowohl Boris Palmer als auch Sven Plöger wurden schon mit dem jährlich verliehenen Umweltpreis der Stiftung ausgezeichnet.